Automatisierung in der Logistik: die richtige Herangehensweise

Rostislav Schwob Aimtec
8. 1. 2020 | 11 Minuten Lesen

Der Begriff Automatisierung ist so eng mit industrieller Produktion verknüpft, dass jedem sofort das Bild von Robotern in Produktionsstraßen in den Sinn kommt. Aber woran denkt man wenn der Begriff „Automatisierung der Intralogistik“ fällt? An autonome Gabelstapler? Förderbänder? Warenlager und Logistik fristeten bis vor kurzem noch ein Schattendasein, aber das ändert sich gerade. Schließlich führen ineffiziente Prozesse in der Intralogistik zu erheblichen finanziellen Einbußen. Dank neuer Technologien kann manuelle Arbeit sinnvoller eingesetzt und die Produktivität auf ein neues Niveau gehoben werden. Aber wie nähert man sich dem Thema Automatisierung an? Was sind die Einsatzmöglichkeiten? Was sie Vorteile? Diese Antworten finden Sie im Folgenden.

Automatisierung des Warenlagers – Gründe und Vorteile

Letztlich soll Automatisierung das Leben der Menschen erleichtern, indem anstrenge oder sich wiederholende Tätigkeiten an Maschinen abgegeben werden. In der Intralogistik, wo Material über das Warenlager ins Unternehmen gelangt und es zum Beispiel über eine Produktionsstraße wieder verlässt, bietet Automatisierung enorme Vorteile. Waren, Materialien und Zwischenprodukte müssen in der gewünschten Qualität zur richtigen Zeit am richtigen Ort sein. Ziel ist es, menschliche Arbeiter so weit wie möglich von repetitiven und fehleranfälligen Tätigkeiten zu befreien und sie sinnvoller einzusetzen. Darauf basieren die Beweggründe und Vorteile der Automatisierung von Prozessen in der Intralogistik.

Beweggrund Vorteil
Fachkräftemangel Optimierung von Arbeitsschritten; Ausbau von Tätigkeiten mit höherem Mehrwert
Fehlerquoten Abschalten von Fehlern
Ineffiziente und langsame Intralogistik Standardisierung von Prozessen, kürzere Transportzeiten
Begrenzter Platz im Lager Bestmögliche Flächennutzung
Arbeitsschutz Verringern von Unfallrisiken

All diese Vorteile sind harte Fakten, die sich leicht mit belastbaren Zahlen belegen lassen. Aber es gibt auch bei der Automatisierung eine Gefühlsebene. Es muss sichergestellt werden, dass Wettbewerber und Kunden die Innovationsbereitschaft und die finanzielle Stabilität des Unternehmens sehen, die Grundlage für einen derart weitreichenden Wandel, wie es die Automatisierung der Logistik ist, sind. Nur wahre Branchenführer haben die Vision und den Mut, sich auf ein Projekt einzulassen, das nicht nur kurzfristige Probleme löst, sondern auch eine Vision für die Zukunft beinhaltet – auf eine Lösung zu setzen, die in zehn Jahren immer noch im Einsatz sein wird. Der erste Schritt hierzu muss frühzeitig erfolgen. Um hier erfolgreich zu sein, bedarf es dabei nicht nur Kapital, sondern ebenso Geduld und Elan. Genauso bedarf es eines verlässlichen Partners für ein so umfassendes Projekt.

Unterschiedliche Ansätze zur Automatisierung – Möglichkeit 1: Schrittweise Einführung von Technologien

Im Wesentlichen gibt es zwei Wege, ein Automatisierungsprojekt anzugehen: Die erste Möglichkeit besteht darin, die neuen Technologien schrittweise einzuführen; die zweite gleicht einem Big Bang. Die meisten Unternehmen entscheiden sich für die erste Variante. Die grundlegenden Technologien, die dabei zum Einsatz kommen, sind ein Warehouse-Management-System, das „Goods-to-Person”-Konzept und Smart-Handling-Equipment.

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Warehouse-Management-System (WMS)

Ein WMS ist der erste Schritt zur automatisierten Dateneingabe im Warenlager. Ein solches System ersetzt händische Prozesse, die Stift und Papier erfordern. Selbst heute, im 21. Jahrhundert, sind solche Vorgänge in vielen Lagern alles andere als unüblich. Die Einführung eines WMS allein genügt schon, Zeiten für das Zusammenstellen von Arbeitsvorräten, der Lagerhaltung und dem Lokalisieren einzelner Waren zu verringern. Das Aufnehmen von Waren ohne ein IT-System im Lager funktioniert nur, wenn die Beteiligten genau wissen, wo sich die entsprechenden Teile befinden. Mit einem WMS ist es möglich, eine bestimmte Auftragsposition im Lager anzuzeigen und den Arbeitsvorrat zu optimieren, ohne dass ein menschlicher Mitarbeiter lange Wege durch das ganze Lager zurücklegen muss. Darum hat ein Warehouse-Management-System, zusammen mit dem Einsatz von Barcodes, ganz klar oberste Priorität für alle Logistikexperten. Das Ergebnis ist ein schnellerer und effizienterer Betrieb im Lager, weniger Kilometer zu Fuß, Einhaltung der FIFO-Regeln und anderer Methoden, Nachverfolgbarkeit von verwendeten Materialien und vieles mehr. Und all das passiert automatisch, ohne händisches Abschreiben oder dem Auftreten von Fehlern – also ganz schnell und einfach.

Das „Goods-to-Person”-Konzept

Wie der Name vermuten lässt, handelt es sich hier um eine Methode, bei der die Handling Unit zum Lagerarbeiter kommt und nicht umgekehrt. Manche Quellen behaupten, dass das Hin-und Herlaufen von Mitarbeitern im Lager bis zu 50 Prozent ihrer Kommissionierzeit ausmacht. Kombiniert man hingegen Fließbänder und vertikale Lagersysteme, so ist es möglich, die benötigten Materialien direkt an die richtige Stelle zu bewegen. Dies birgt erhebliches Einsparpotenzial – schnelleres Verstauen und Entnehmen und weniger Lagerarbeiter, die hierfür abgestellt werden müssen. Diese Arbeitskräfte können sodann für gewinnbringendere Tätigkeiten eingesetzt werden. Und da es wichtig ist, fähigen und talentierten Leuten interessante Tätigkeiten am Arbeitsplatz zu bieten, um sie halten zu können, ist Automatisierung eine Win-Win-Situation für alle Beteiligten.

Smart-Handling-Equipment

Vom Ergänzen der aktuellen Flotte mit einem Terminal, auf dem Mitarbeiter die Arbeitsvorräte und die Positionen von Gegenständen im Lager überblicken können, bis hin zu teilautomatisierten und vollautomatisierten Förderzeugen – Handling Equipment ist ein integraler Bestandteil der Prozessautomatisierung in der Logistik. In einem der nächsten Artikel werden die Möglichkeiten einer solchen Flotte genauer beleuchtet werden und auch, was es bedeutet solche Förderzeuge zu beschaffen und zu integrieren.

Alle drei Elemente der Logistikautomatisierung können getrennt voneinander funktionieren, was auch oft der Fall ist. Smart-Handling-Equipment wie teil- oder vollautonome VNA-Gabelstapler (VNA = Very Narrow Aisle) und Sortiersysteme sind in der Regel auf einem einfachen Level in die übrigbleibenden Prozesse integriert. Viel mehr Effizienz und größere Synergieeffekte lassen sich jedoch erreichen, wenn man die einzelnen Technologien, Prozesse und auch die Mitarbeiter miteinander kombiniert und zu einem funktionalen Ganzen integriert. Das führt uns zum zweiten Ansatz der Warenlagerautomatisierung.


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Unterschiedliche Ansätze zur Automatisierung – Möglichkeit 2: Der Big Bang

Wenn es nötig ist, die Prozesse in der Intralogistik umfassend zu automatisieren, muss sich ein Unternehmen vom Status-Quo und punktuellen Verbesserungen verabschieden. Das Management eines produzierenden Unternehmens, das vor der Entscheidung steht, zu automatisieren, muss sich fragen, was die Anforderungen an die Intralogistik in zehn Jahren sein werden – oder wie dann die Logistik im Idealfall aussehen soll. Das verlangt vor allem eine klare Vision und den Mut, Veränderungen herbeizuführen, welche viele Leute fürchten. Wer so ein großes Projekt angeht, sollte sich auf viele Fragen, interne Rechtfertigungen und auch anfängliche Zurückweisung einstellen. Es muss ein Implementierungs-Team zusammengestellt und eingeschworen werden und die Team-Mitglieder müssen die Vorteile der Automatisierung gegenüber dem Management, ihren Kollegen und ihren Mitarbeitern verteidigen. Und dann gibt es da noch den finanziellen Aspekt. Automatisierung ist schließlich ein Projekt, das das Unternehmen auf allen Ebenen betrifft und entsprechend vielschichtig angegangen werden muss. Um alle mit ins Boot zu holen und vielleicht auch die eigenen Zweifel auszuräumen, sind zwei Ansätze besonders hilfreich:

  • Ein Referenzbesuch bei einem Unternehmen, das bereits auf Automatisierung setzt und das von allen Vor- und Nachteilen berichten kann.
  • Partner wählen, die Erfahrung mit ähnlichen Projekten haben und die zum eigenen internen Team passen. Man wird schließlich über viele Monate eng zusammenarbeiten.

Eine vollständige Automatisierung in nur einem Schritt nutzt dieselben Technologien wie die schrittweise, kann aber noch folgende weitere beinhalten.

Ein voll automatisiertes Warenlanger

Ein Automated Storage and Retrieval System (AS/RS) arbeitet vollkommen autonom. Tatsächlich dürfen aus Sicherheitsgründen Menschen die Lagerzone gar nicht betreten. Obwohl ein AS/RS schwer zu implementieren ist, können wir sehen, wie es sich zunehmender Beliebtheit erfreut, nicht nur in der Automobil-, sondern auch in anderen Industrien.

Autonome mobile Roboter, Züge und mehr

Autonome mobile Roboter (Autonomous Mobile Robots, AMRs), Züge, autonome intelligente Fahrzeuge (Autonomous Intelligent Vehicles, AIVs) und andere Maschinen, die Materialien und Komponenten an Transferpunkten aufnehmen und sie dorthin bringen, wo sie gebraucht werden, komplementieren die oben genannten Technologien. Dabei entlasten sie menschliche Mitarbeiter. Pioniere auf diesem Gebiet sind bestimmte e-Commerce-Anbieter, bei denen Roboter ganze Lagerhallen betreiben – vom Ablegen bis zum Versand. Das sind derzeit aber noch Ausnahmen. Bis dies Standard wird, wird noch einige Zeit vergehen.

Der Systemintegrator – der Zauberer, der der Logistik Leben einhaucht

Der Systemintegrator (der Anbieter des Kontrollsystems) spielt bei der Automatisierung der Logistik eine wichtige Rolle. Er integriert nicht nur die Technologien, er setzt auch die benötigten Prozesse auf, um sicherzustellen, dass alle Technologien miteinander kommunizieren. Er sorgt auch dafür, dass Daten am richtigen Ort gespeichert werden und Palletten nicht zu hoch gestapelt werden oder an Kreuzungen im Lager kollidieren.

In einem voll automatisierten Warenlager muss das Kontrollsystem nicht nur die gängigen Schritte wie Aufnehmen und Ablegen an bestimmten Positionen ausführen können, sondern auch die nicht-standardisierten Fälle abbilden, sprich wenn Fehler auftreten. Solche Situationen wurden bisher von menschlichen Mitarbeitern gelöst. Die gesamte Logik des Warenlagers muss neu aufgesetzt werden. Daraus leitet sich ab, wohin Paletten geräumt werden. Natürlich gibt es eine „Hintertür“, sollte eine der Schlüsseltechnologien, beispielsweise autonome Stapler ausfallen. Das Kontrollsystem stellt die korrekte Lagerung in doppelt tiefen Paletten-Regalen, die Auslieferung spezifischer Materialien und Komponenten für die Übergabe an die Produktion sowie die Überprüfung der Handling Units sicher. Kurz gesagt, der Systemintegrator ist wie ein Zauberer, den Tonnen von Stahl in Form von Regalen, Gabelstaplern, Förderbändern und anderen Technologien Leben einhaucht. Damit kommt ihm eine Schlüsselrolle beim Erfolg des gesamten Automatisierungsprojekts zu. Er ist daher mit Bedacht zu wählen.

Die Automatisierung birgt auch Tücken

Neben dem Implementierungsprozess birgt die Automatisierung weitere Tücken, die es zu beachten gilt. Dies sind sehr menschliche Faktoren.

Vision und Mut

Gerade für kleinere und mittlere Unternehmen ist ein Projekt zur Automatisierung des Warenlagers ein ziemlicher Brocken. Wer sich für ein solches Projekt entscheidet, muss nicht nur tapfer sein, sondern muss sich Partner suchen, die genau diese Expertise in Sachen Automatisierung haben. Außerdem sollten sie in der Lage sein, die Vision des Unternehmens zur Zukunft der Logistik in der vorgeschlagenen Lösung abzubilden.

Standardisierung und der teilweise Verlust von Flexibilität

Automatisierung hat einen ganz besonderen Vorteil – sie führt zu mehr Standardisierung. Wie bereits erwähnt, muss das System mit jeder möglichen Situation umgehen können. Jedoch verwerfen Unternehmen während eines Automatisierungsprojekts gerne vermeintlich unnötige Prozesse. Dies führt zu einem teilweisen Verlust von Flexibilität. Das Implementieren eines neuen Prozesses oder das Anpassen eines Workflows bedeutet nicht mehr, dass sich die Mitarbeiter einigen müssen. Vielmehr ist eine Anpassung des Systems erforderlich. Jedoch verlagert sich der Druck, flexibler zu sein, auf das Kontrollsystem. Dieses muss also leicht an die spezifischen Prozesse eines Unternehmens anpassbar sein. Ein Automatisierungsprojekt zu implementieren ist keine leichte Aufgabe, wenn es keine Möglichkeit gibt, den Algorithmus für bestimmte Entscheidungen und für die Durchführung von Kontrollen anzupassen. Daher empfiehlt es sich, nach einem System zu fragen, das nicht nur während der Implementierungsphase anpassbar ist, sondern über die gesamte Lebensdauer hinweg.

Die beteiligten Persone

Menschen sind der entscheidende Faktor bei Digitalisierung und Automatisierung – sowohl auf Kunden- als auch auf Lieferantenseite. Ein erfahrener Systemintegrator, der den richtigen Weg aufweisen kann, ist unerlässlich. Dieser Partner sollte auch auf Kundenseite ein internes Team als Ansprechpartner haben, das mit dem System und dessen Technologien arbeitet. Das Arbeiten in der Intralogistik verlangt schon seit Jahren technisches Wissen. Der fortschreitende Wandel zu mehr Automatisierung verlangt nach Mitarbeitern, die mit der Automatisierung, ihren Prozessen und Technologien umgehen können, sie weiterentwickeln und am Laufen halten können. Die einzigen Leute, die das können, sind die bestehenden Mitarbeiter, denn sie verstehen Prozesse und Logistik des Unternehmens. Diese werden nicht nur die wichtigsten Nutzer während eines Automatisierungsprojektes sein, sondern designen auch neue Prozesse und initiieren den Einsatz neuer Technologien, die dem Unternehmen helfen werden, seine führende Position zu behaupten.

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