Balance in der Logistik und wo man sie findet

Marie Mundilová Aimtec
5. 1. 2022 | 7 Minuten Lesen

Modernste Ansätze in der Logistik – warum sollte man neueste Trends stets im Auge behalten? Und wie lässt sich das Ganze im Gleichgewicht halten? Marco Prüglmeier stellte den Anwesenden auf der Konferenz Trends in Automotive Logistics (TAL) 2021, die in Pilsen stattfand, unterschiedliche Sichtweisen auf die Robotisierung in der Logistik vor, präsentierte umwälzende technologische Neuerungen und verwies außerdem auf bestimmte, bei der Automatisierung auftretende Hürden. Hier eine Zusammenfassung der wichtigsten Punkte aus Marco Prüglmeiers Vortrag.

Balance in der Logistik – warum?

Weil die technologische Entwicklung im Logistikbereich mit Meilenschritten voranschreitet. Daher muss man ständig auf der Hut zu sein; andernfalls kann es passieren, dass einem die Konkurrenz davonläuft und ihr Vorsprung nicht mehr aufzuholen ist. Im Englischen wird „Balance“ definiert als „the ability to keep steady“, d.h. die Fähigkeit, standhaft zu bleiben – im eigenen Geschäft genauso wie als Branchenführer.

Flexibilität bzw. Anpassungsfähigkeit

Marco Prüglmeier zeigte in seiner Präsentation neueste Robotikmechanismen, die durch ihre Fähigkeiten faszinieren. Roboter, die Saltos hinlegen oder Hindernisse überspringen. Roboter-Akrobaten finden zwar noch keinen Einsatz in Firmen, das Beispiel illustriert aber, wie die Flexibilität robotischer Anlagen und ihre Anpassungsfähigkeit allgemein an Perfektion gewinnen.

Roboter, die souverän Kabeln auf dem Boden ausweichen, einen humanen Kollegen umlaufen, ohne ihn anzustoßen, oder eigenständig ihren Weg neu berechnen, wenn ein Hindernis vor ihnen auftaucht – solche gibt es bereits, und sie sind in der Lage, Seite an Seite mit Menschen zu arbeiten. Auch das Arbeitsumfeld muss nicht speziell auf sie abgestimmt werden. Marco Prüglmeier prognostiziert, dass autonome mobile Roboter (AMR = Autonomous Mobile Robots) in naher Zukunft bei modernen logistischen Abläufen die Vorherrschaft gewinnen und sog. AGV-Roboter (Automated Guided Vehicles) ersetzen werden. Der Unterschied in der Reife beider Robotertypen zeigt sich am deutlichsten, wenn vor dem Roboter ein Hindernis auftaucht: Das AGV hält vor dem Hindernis einfach an, während ein AMR stehen bleibt, die Strecke neu berechnet und das Hindernis anschließend umläuft.

Roboter-Mensch vs. Roboter-Roboter

Während die Arbeit von Mensch und Roboter in der Vergangenheit streng separiert war, besteht der aktuelle Trend in der Stärkung der Kooperation zwischen „lebendigen“ Beschäftigten und Robotern. Marco Prüglmeier führt an, dass die Kooperation menschlicher und robotischer Arbeitskraft jährlich um 40 % wächst. Aus den bestehenden Trends lässt sich zudem ableiten, dass in der Zukunft immer mehr interne logistische Abläufe auf der Kooperation Robot to Robot (Machine to Machine) beruhen werden.

Sie möchten athletische Roboter oder Szenen wie aus einem futuristischen Film sehen? Hier die gesamte Präsentation von Marco Prüglmeier (in englischer Sprache):

 

LKW-Fahrer im Homeoffice

In Autobahnraststätten gähnende Leere – so weit ist es noch nicht. Während Automatisierung und Robotisierung der Logistik in den Innenräumen von Unternehmen mit Meilenschritten voranschreiten, muss sich die Robotisierung in der Außenwelt mit zahlreichen Unberechenbarkeiten (beispielsweise Wetterkapriolen) herumschlagen. Aus diesem Grund ist der Fortschritt hier weniger dramatisch. Das heißt aber nicht, dass er nicht existiert.

Marco Prüglmeier erwähnt in seinem Vortrag den französischen AMR (Gaussin), welcher im Freien einen Auflieger ankuppelt und an den vorgesehenen Platz verbringt. Dies kann semi-autonom geschehen: FERNRIDE, ein Startup aus München, bietet eine Lösung, bei der auf dem Parkplatz einer Speditionsfirma Auflieger fahren, die durch menschliches Personal gesteuert werden – dieses sitzt aber im Büro im Innern des Gebäudes. Hier sind menschlicher und robotischer Faktor im perfekten Gleichgewicht.

Erweiterte vs. virtuelle Realität

Eine AR-Brille (für erweiterte Realität) ist nach Aussage von Marco Prüglmeier die Zukunft des normalen Logistikarbeiters. Mit dieser Brille weiß der Mitarbeiter sofort, in welchem Regal und an welcher Stelle sich eine bestimmte Ware befindet. Nach einem ähnlichen Prinzip „verbesserter Arbeitskraft“ funktionieren alle sog. Wearables – beispielsweise Handrückenscanner, mit denen der Mitarbeiter ständig freie Hände hat (NIMMSTA).

Virtuelle Realität (VR) findet nach Ansicht von Marco Prüglmeier weniger in der Logistik und eher bei Computerspielen Anwendung, wenngleich sie in einigen Firmen u. a. bei der Planung zum Einsatz kommt. Trotzdem empfiehlt er, sich vorerst besser auf erweiterte Realität (AR) zu konzentrieren.

Wir sollten dort automatisieren, wo Menschen wie Roboter arbeiten müssten, und lebendiges Personal dort beschäftigen, wo es unersetzbar ist.

Infrastruktur und Nachhaltigkeit

Wenn ein Paket für den Kunden komplett durch Roboter zusammengestellt, verpackt und versendet wird, warum die Sendung dann nicht auch automatisch zustellen? Nach Auffassung von Marco Prüglmeier ist damit zu rechnen, dass sich die gesamte urbane Infrastruktur in der Zukunft verändert. Der Hamburger Stadtrat bewilligte die erste Stufe zum Bau unterirdischer Fahrrohrleitungen, über die Pakete automatisch an bestimmte Orte zugestellt werden könnten.

Modernisierung hat in dieser Hinsicht einen positiven Einfluss auf Ökologie und Nachhaltigkeit – sie sorgt für deutlich weniger Emissionen.

Künstliche Intelligenz

Wenn von Robotisierung und Automatisierung die Rede ist, darf auch künstliche Intelligenz nicht unerwähnt bleiben. Marco Prüglmeier verweist auf eine Webseite, die ein überzeugendes menschliches Antlitz generiert, das aber nicht existiert und nie existiert hat. Diese Webseite arbeitet nach dem Prinzip künstlicher neuronaler Netzwerke, sog. tzv. GANs (Generative Adverserial Networks). Das eine generiert ein Gesicht, das zweite beurteilt, ob es realistisch ist. Die Ergebnisse sind für das menschliche Auge nicht von der Wirklichkeit zu unterscheiden.

Einsatzmöglichkeiten bieten sich bisher zwar eher in der Unterhaltungsindustrie als in Fertigung und Logistik, doch sollte man von diesem Trend wissen und ihn im Blick behalten.

Warum innovieren?

Sie haben einen Firmenbetrieb mit Potenzial für Automatisierung der internen Logistik? Interessieren Sie sich für neueste Trends! Logistikprozesse werden weltweit seit den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts durch die IT-Abteilung gesteuert, und nichts deutet darauf hin, dass sich das in absehbarer Zukunft ändert. Ganz im Gegenteil, Automatisierung und Robotisierung der Logistik sind unausweichlich, wenn man nicht ins Hintertreffen geraten will. Daher sollte man sich mit neuesten Trends auskennen, auch wenn sie noch keine praktische Verwendung haben, und wissen, wie sie funktionieren, um gerüstet zu sein, wenn ihr Einsatz in der Praxis aktuell wird. Das Tempo technologischer Innovationen nimmt rapide an Fahrt auf. Keiner kann sich erlauben, neue Trends als letzter zu implementieren.

Wie Marco Prüglmeier abschließend sagt: Lassen wir Menschen dort arbeiten, wo es wirklich erforderlich ist, wo sie wirklich gut sind. Dem Patienten im Krankenhaus kann ruhig ein Roboter das Essen bringen, wenn medizinisches Personal dafür mehr Spielraum für individuelle Betreuung der Kranken erhält. Übertragen auf den Bereich der Logistik – automatisieren wir in Bereichen, wo Menschen wie Roboter arbeiten müssten, und beschäftigen wir lebendiges Personal dort, wo es unersetzbar ist. Keiner will 200 Gabelstaplerfahrer einstellen, um sie zwei Jahre später wieder zu entlassen.


Marco Prüglmeier

Wer ist Marco Prüglmeier?

Marco Prüglmeier hat über 20 Jahre Erfahrung im Management der BMW Group, die er jetzt im eigenen Beratungsunternehmen i2market nutzen kann, das fachliche Beratung zum Thema Implementierung technologischer Innovationen anbietet. Er ist Mitgründer von NOYES TECHNOLOGIES, einem Startup im Robotik-Bereich.


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